60 Einzelgebiete,
C. Deutschland als Staatengebilde.
Das Deutsche Reich ist ein Bundesstaat, der aus 26 Staaten besteht (s. I.s.79).
Die obersten Reichsgewalten sind Kaiser, Bundesrat und Reichstag.
Die Kaiserwürde kommt stets dem König von Preußen zu. Der Kaiser ist
der oberste Befehlshaber des Heers und der Marine; er erklärt Krieg und schließt
Frieden, vertritt das Reich und ernennt die Reichsbeamten.
Der Bundesrat besteht aus den Vertretern der einzelnen (26) Regierungen.
Der Reichstag wird aus den Abgeordneten gebildet, die in den 397 Wahlkreisen
durch gleiches, direktes und geheimes Wahlrecht nach Stimmenmehrheit gewählt
werden. Bundesrat und Reichstag üben die Reichsgesetzgebung aus.
Der oberste Beamte des Reichs ist der Reichskanzler.
Als politische Einheit nimmt das Reich die Beziehungen zu fremden Staats-
wesen wahr. Reichsangelegenheiten sind z. B. die Vertretung des Reichs im Ausland
durch Gesandte und Konsuln. Auf allen wesentlichen Gebieten des Volkslebens be-
steht Rechtseinheit. Das bürgerliche Recht, das Strafrecht usw. sind einheitlich
geordnet. Einheitliche Rechtsgrundlagen gelten für das gewerbliche Leben und den
Handel. Auch Maß-, Münz- und Gewichtswesen haben eine einheitliche Regelung
erfahren. Dazu kommt die große und vielseitige Sozialgesetzgebung, durch welche das
Deutsche Reich weit über seine Grenzen hinaus bahnbrechend gewirkt hat.
Das Reich ist ferner eine wirtschaftliche Einheit. Es gibt innerhalb des
Reichs keine Binnenzölle oder andere Schranken des Verkehrs mehr. Insbesondere
ist auch das Nachrichtenwesen einheitlich geregelt und verwaltet; nur Bayern und
Württemberg verwalten selbst ihr Post- und Telegraphenwesen.
Einheitlichkeit herrscht endlich im Reich in bezug auf das Heerwesen und
die Marine. Das bayerische Heer hat jedoch einige Reservatrechte.
Die einzelnen Staaten sind konstitutionelle Monarchien mit Ausnahme
der Freien Städte, welche republikanisch regiert werden. Auch Elsaß-
Lothringen, das unter einem kaiserlichen Statthalter steht, erfreut sich einer
konstitutionellen Verfassung.
Zur Bestreitung der gemeinschaftlichen Ausgaben dienen die aus den Zöllen
und einigen Steuern fließenden gemeinschaftlichen Einnahmen, und, soweit diese
nicht hinreichen, Beiträge der einzelnen Bundesregierungen nach Maßgabe ihrer Be-
völkerung (sog. Matrikularbeiträge).
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88
Die £ett der zunehmenden Auslösung des Reichs 1273—1519.
England. Das englische Königreich war aus den kleinen angelsächsischen Staaten zusammengewachsen; um 900 wurde es von Alfred beherrscht, der den Einfällen der seebeherrschenden Dänen entgegentrat und als Gesetzgeber und Ordner des Reiches sich die größten Verdienste erwarb. Im Jahre 1006 wurde England durch die Schlacht bei Hastings von dem Normannenherzog Wilhelm erobert, der in der Geschichte den Beinamen der Eroberer trägt. Dem normannischen Geschlechte folgte das Haus Anjou-Plantagenet, das ebenfalls französischen Ursprungs war und zahlreiche französische Landschaften als Lehen besaß. Diesem Hause entstammten der sühne, aber unstete Ritter Richard Löwenherz, der am dritten Kreuzzug teilnahm, und sein heimtückischer Bruder Johann ohne Land, der sich vor Papst Innocenz Iii. demütigen mußte (§ 61) und fast den gesamten Besitz auf dem Festlande an Philipp August von Frankreich verlor.
Im vierzehnten Jahrhundert begann eine neue, hundertjährige Periode englisch-französischer Kriege, dadurch hervorgerufen, daß Eduard Hl nach dem Aussterben des Hauses der Capetinger Ansprüche auf den französischen Thron erhob. In glänzenden Schlachten siegte damals die englische über die französische Ritterschaft. Um die Mitte des 14. Jahrhunderts trug Eduard Iii. bei Cröcy, unweit der Küste des Kanals, einen glänzenden Sieg davon; König Heinrich Iv., aus dem Hause Lancaster, einst als Kronprinz der Genosse John Falstaffs und zu allerlei tollen Streichen aufgelegt, als König tüchtig und willenskräftig. siegte im zweiten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts bei Azincourt, das nicht fern von Cröcy liegt. Anders ward es seit dem sieghaften Auftreten der Jungfrau von Orleans, Johanna d’Arc, eines gottbegeisterten lothringischen Bauernmädchens, welches Karl Vii. zur Krönung nach Reims führte. Zwar fiel sie nachher in die Hand der Engländer und wurde 1431 als Hexe verbrannt; aber die Macht Eng. lands ging zurück, und schließlich mußte es die französischen Eroberungen wieder ausgeben.
Für die innere Entwickelung Englands war es bedeutsam, daß sich ein Parlament ausbildete, eine Vertretung der oberen Stände des Volkes, die in ein Oberhaus und ein Unterhaus zerfiel und das Recht der Steuerbewilligung besaß. So wurde England früh zum Verfassungsstaat. In die zweite Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts fallen die furchtbaren Bürgerkriege zwischen den Häusern Lancaster und Aork, die man nach den Abzeichen der beiden Parteien als die Kriege der roten und der weißen Rose bezeichnet. Sie wurden im Jahre 1485
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Extrahierte Ortsnamen: England England Reims Englands England
2. Ausbruch der Revolution.
11
Nationalversammlung wieder angenommen, so erhielt er Gesetzeskraft auch gegen den Willen des Königs. Die absolute Monarchie war in eine konstitutionelle umgewandelt. Das Land wurde in 83 Departements eingeteilt, die meist nach Gebirgen und Flüssen abgegrenzt und benannt waren. Die Beamten der Gemeindeverwaltung sollten von der Gemeinde gewählt werden; dadurch wurde der Grundsatz der Selbstverwaltung eingeführt. Im Gerichtswesen wurden durchgreifende Veränderungen vorgenommen. Zu den Gerichtsverhandlungen erhielt jedermann Zutritt, die Geschworenen- und die Handelsgerichte wurden eingeführt. Der König fügte sich diesen Beschlüssen.
Auch der Pöbel mischte sich in die Bewegung. Die Hefe des Pariser Volkes, darunter mehrere tausend Weiber, zog von Paris nach Versailles und verlangte, die Königliche Familie solle ihre Hofhaltung nach Paris verlegen. Wieder gab der König nac^
Alle diese Vorgänge hatten aber den leeren Staatsschatz nicht gefüllt. Da erklärte die Nationalversammlung alle Kirchen- und Klostergüter zu Staatseigentum; dafür sollte der Staat die Besoldung der Geistlichen übernehmen. Damit der Staat nicht zu viele Geistliche zu unterhalten hätte, wurden die geistlichen Orden aufgehoben mit Ausnahme derer, die sich mit dem Unterrichte der Jugend und der Krankenpflege befaßten.
Um Zahlungen zu ermöglichen, wurde Papiergelds die sogenannten Assignate, geschaffen, als deren Sicherheit die Kirchen- und Klostergüter galten.
Die Nationalversammlung verkaufte um Spottpreise die Kirchengüter. Necker sagt darüber: „Im Jahre 1789 wäre es leicht gewesen, die Staatsfinanzen in Ordnung zu bringen; aber schon nach Ablauf eines Jahres ist es so weit gekommen, daß der Staat durch maßlose Verschwendung mit Riesenschritten dem Bankrott entgegeneilt."
Die Männer, denen die Leitung des Staates in die Hand gegeben wurde, waren keine Staatsmänner. Der einzige, der imstande gewesen wäre, durch die Überlegenheit seines Geistes und durch seine staatsmännische Begabung die Hochflut der Revolution in geordnete Bahnen zu lenken, das errungene Gute zu bewahren und der Zügellosigkeit Einhalt zu tun, war Graf Mirabeau. Er näherte sich dem Könige und wollte einen starken Verfassungsstaat. Lafayettes Neid hinderte ihn, die leitende Stelle im Ministerrat einzunehmen, und sein rascher Tod nahm dem Könige die letzte und beste Stütze. Die Königliche Familie machte einen Fluchtversuch. Schon der belgischen Grenze nahe, , wurde sie zur Rückkehr nach Paris gezwungen.
Die erste Nationalversammlung löste sich nach zweijähriger Dauer auf. Sie wird die konstituierende genannt, Assemblee nationale Constituante, weil sie dem Staate die Verfassung, la Constitution,
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Extrahierte Ortsnamen: Paris Versailles Paris Paris
16
I- Die Französische Revolution.
Geltung, alles deutet auf den Ackerbaustaat hin. Am 31. Dezember 1805 wurde dieser Kalender außer Kraft gesetzt.
Der Konvent erklärte die christliche Religion für abgeschafft und ersetzte sie durch einen Kult der Vernunft. Eine Theaterdame, Madame Maillard, wurde als Göttin der Vernunft in einer Sänfte zur Kathedrale Notre-Dame getragen, dort auf den Altar gesetzt, während die Menge Lieder auf die Freiheit und gegen die christliche Religion sang. In den Provinzstädten wurden diese Szenen nachgeahmt. Im Jakobinerklub zu Straßburg wurde sogar beantragt, das Münster niederzureißen. Ein Herr von Türkheim hatte den Mut zum Gegenantrag, man solle aus den Steinen ein Narrenhaus bauen und den zuerst hineinsperren, der den Antrag gestellt habe, das Meisterwerk Erwins von Steinbach zu zerstören. Durch Konventsbeschluß wurden alle Kirchen geschlossen. Der Pöbel zog mit kirchlichen Gewändern durch die Straßen. Die allgemeine Zuchtlosigkeit wurde sogar Robespierre zu stark; er hielt im Konvent eine Rede über das Dasein Gottes und die Unsterblichkeit der Seele. Das war nach Dantons Hinrichtung.
Die neue Verfassung, die letzte Tat des Nationalkonvents, teilte die Volksvertretung in zwei Kammern und übertrug die vollziehende Gewalt, d. i. die eigentliche Regierung, einem Direktorium von fünf Mitgliedern. Diesem stand ein verantwortliches Ministerium zur Seite. Die erste Kammer bestand aus 500 Mitgliedern, die mindestens 30 Jahre alt sein mußten, und hieß Conseil des cinq cent; die zweite Kammer bestand aus 250 Mitgliedern, die mindestens 40 Jahre alt sein mußten, und hieß Conseil des anciens. Die erste Kammer sollte die Gesetzesvorschläge beraten, die zweite sie bestätigen. Die Mitglieder des Conseil des anciens mußten entweder verheiratet oder verwitwet sein. Diese Bestimmung in Verbindung mit der Festsetzung eines Mindestalters bedeutet ein Einlenken in ruhigere Bahnen. Die Gegenpartei erregte einen Aufstand in Paris, den General Napoleon Bonaparte im Aufträge des Konvents in ein paar Stunden auseinandersprengte. Auch ' hier zeigte sich Napoleons Überlegenheit. Nach zweimaligem scharfen Feuern der Truppen mit Kugeln waren die Aufständischen so weit eingeschüchtert, daß er fortan nur blind laden ließ. Von dem Volke wurden 70 bis 80 getötet und zwischen 300 und 400 verwundet. Er hat std) später selbst darüber geäußert, wenn er im Anfang nur mit Pulver hätte laden lassen, hätte der Pöbel Mut bekommen, der Kampf hätte sich tagelang hingezogen und wahrscheinlich 30000 Mann gekostet. Wenn Ludwig Xvi. bei Beginn der Revolution einige ernstliche Kartätschenschüsse angeordnet hätte, wären Frankreich die Greuel der Revolution erspart geblieben. Nack) Niederwerfung des Aufstandes löste der Nationalkonvent sich auf, um der neuen Kammer Platz zu machen. Die Zeit des Nationalkonvents, von 1792 — 1795, war die blutigste der
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98
V. Das Zeitalter Kaiser Wilhelms I.
9. Grundzüge der Verfassung des Deutschen Reichest)
Bestandteile. .Zum Deutschen Reiche gehören die Königreiche Preußen, Bayern, Sachsen und Württemberg, die Großherzogtümer Baden, Hessen, Mecklenburg-Schwerin, Mecklenburg-Strelitz, Sachsen-Weimar und Oldenburg, die Herzogtümer Braunschweig, Anhalt sowie die drei sächsischen: Meiningen, Altenburg und Coburgs-Gotha, die Fürstentümer Waldeck, Lippe und Schaumburg, Schwarzburg-Rudolstadt und Schwarzbnrg-Sondershausen, Renß Jüngerer und Älterer Linie, die drei Freien Reichsstädte Hamburg, Lübeck, Bremen, endlich das Reichs land Elsaß-Lothringen.
Stellung des Kaisers. Der jedesmalige König von Preußen ist zugleich Deutscher Kaiser. Das Reich ist demnach ein Erbreich, nicht ein Wahlreich, wie das mittelalterliche Deutsche Reich war. Der Kaiser ist Oberbefehlshaber des Reichsheeres und der Flotte.
Die gesetzgebende Gewalt des Reiches liegt beim Bundes rate und beim Reichstage. Der Bundesrat ist die Vertretung der deutschen Fürsten, der Reichstag die Vertretung des deutschen Volkes. Der Bundesrat besteht aus 58 Mitgliedern. Die Zahl, die jeder Staat in denselben entsendet, richtet sich nach seiner Größe. So schickt die preußische Regierung 17, die bayrische 6, Sachsen und Württemberg je 4, Baden und Hessen je 3, Mecklenburg - Schwerin und Braunschweig je 2 Mitglieder, die übrigen Staaten je 1 Mitglied in den Bundesrat. Da Preußen allein rund 350000 qkm mit 38 Million Einwohnern hat, alle übrigen Staaten zusammen nur 190000 qkm mit 25 Million Einwohnern zählen, so sind die kleinern Staaten im Bundesrate viel stärker vertreten als Preußen. Darin zeigt sich die große Mäßigung des führenden Staates. Die Mitglieder des Reichstages werden in geheimer Wahl auf fünf Jahre gewählt. Jeder Deutsche, der das 25. Lebensjahr erreicht hat und im Besitze der bürgerlichen Ehrenrechte ist, hat das Recht, zu wählen. Die Bürger werden nicht nach der Steuerzahlung in Klassen eingeteilt wie bei der Wahl zum preußischen Abgeordnetenhaus^ sondern alle Stimmen haben gleichen Wert. Zur Gültigkeit eines Reichs^ gesetzes ist erforderlich, daß es sowohl im Bundesrate wie im Reichstage mit Stimmenmehrheit angenommen worden ist. Der Kaiser verkündet die so beschlossenen Gesetze im Namen des Reiches. Wenn ein Reichsgesetz angenommen wird, das mir dem Landesgesetz irgendeines Staates in Widerspruch steht, so tritt das Landesgesetz außer Kraft. Post- und Telegraphenämter sind Reichsanstalten. Die Kriegsmarine steht ein-
2) Reclamsche Bibliothek Nr. 2732 enthält die vollständige Verfassung.
2) Amtliche Schreibweise laut Erlaß des Herzoglichen Ministeriums vom 12. Dezember 1881.
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10. Kaiser Wilhelms Friedenszeit.
99
heitlich unter dem Oberbefehl des Kaisers, desgleichen das Reichskriegswesen. Bayern hat in Friedenszeit noch eigne Militärverwaltung, desgleichen eigne Postverwaltung. Die Einnahmen des Reiches fließen aus Zöllen, Steuern auf Gegenstände des täglichen Verbrauchs, aus den Überschüssen der Post- und Telegraphenverwaltung, der Eisenbahnen des Reichslandes. Soweit diese Einnahmen nicht reichen, zahlen die einzelnen Staaten nach Maßgabe ihrer Bevölkerung Zuschüsse, die man Matri-kularbeiträge nennt. Während Preußen seine Steuern hauptsächlich direkt vom Vermögen und Einkommen der Bürger erhebt, fließen die Einnahmen des Reiches vorwiegend aus einer indirekten Besteuerung in der obengenannten Art.
Reichskanzler. Der oberste Beamte des Reiches ist der Reichskanzler. Er wird vom Kaiser ernannt; er ist zugleich Vorsitzender des Bundesrates. Der erste Kanzler des neuen Deutschen Reiches war Fürst Bismarck, der zweite General Graf Caprivi, der dritte Fürst Klodwig zu Hohenlohe, der vierte Fürst Bülow, der jetzige von Bethmann Hollweg seit 1909. Zur Vertretung des Reichskanzlers sind an die Spitze der einzelnen Reichsämter, wie Auswärtiges Amt, Reichsschatzamt, Reichsmarineamt, Reichspostamt, Reichskolonialamt, Staatssekretäre mit Ministerrang gesetzt. Die Verantwortung für die Verwaltung der Reichsämter gegenüber dem Reichstag und dem Bundesrat führt der Reichskanzler allein. Die Reichsämter sind Ministerien unter andern Namen.
10. Kaiser Wilhelms Friedenszeit.
Nach den glorreichen Kriegen war Kaiser Wilhelm I. noch eine achtzehnjährige, segensreiche Friedenszeit beschieden. Um dem Volke den Frieden zu bewahren, schloß er mit Rußland und Österreich den Drei-kaiserbund, zu dem Italien freundschaftliche Beziehungen unterhielt. (1872.)
Die französische Kriegsentschädigung Mrde zunächst zur Deckung der Kriegskosten verwendet; dann wurde ein Reichsinvalidenfonds begründet; Bismarck und verdiente Generale erhielten Ehrengeschenke; 120 Million Mark sind als Reichskriegsschatz zur Deckung der ersten Ausgaben im Fall einer Mobilmachung im Juliusturm zu Spandau niedergelegt. Der Turm wird Tag und Nacht von Soldaten bewacht. Die reiche Kriegsentschädigung hatte einen großartigen Aufschwung des Handels und der Industrie zur Folge. Zur Erleichterung des geschäftlichen Verkehrs wurden 1873 für alle Staaten des Reiches die heute gebräuchlichen Maße, Gewichte und Münzen eingeführt. Deren Vorzug besteht in der Teilbarkeit durch 10, dem sogenannten Dezimalsystem.
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118
Vi. Das Zeitalter Kaiser Wilhelms Ii.
stehend, umgeben von den Fürsten und Großen des Reiches, verlas der Kaiser die Eröffnungsrede, in der er erklärte, daß er die Reichsverfassung wahren, für die arbeitende Bevölkerung sorgen, an dem Bündnisse mit Österreich-Ungarn und Italien in deutscher Treue festhalten und die seit hundert Jahren bestehenden freundschaftlichen Beziehungen zu Rußland weiter pflegen, daß er, soviel an ihm liege, Frieden mit allen auswärtigen Staaten halten wolle.
Eröffnung des preußischen Landtages. Am 27. Juni 1888 eröffnete König Wilhelm gleichfalls in feierlicher Weise den Landtag der Preußischen Monarchie und leistete dabei den Eid auf die Verfassung des Königreiches. In der Eröffnungsrede heißt es:
„Ich gelobe, daß Ich die Verfassung des Königreiches fest und unverbrüchlich halten und in Übereinstimmung mit derselben und den Gesetzen regieren will, so wahr Mir Gott helfe!"
Im weitern Verlaufe seiner Rede erklärte der König, daß er die Rechte des Volkes ebenso wie die des Königs achten und wahren wolle. Dann fuhr er fort:
„Dem Vorbilde Meiner erhabenen Ahnherren folgend, werde Ich es jederzeit als eine Pflicht erachten, allen religiösen Bekenntnissen in Meinem Lande bei der freien Ausübung ihres Glaubens Meinen königlichen Schutz angedeihen zu lassen.
„In bewegter Zeit habe Ich die Pflichten Meines königlichen Amtes übernommen, aber Ich trete an die Mir nach Gottes Fügung gestellte Aufgabe mit der Zuversicht des Pflichtgefühls heran und halte Mir dabei das Wort des großen Friedrich gegenwärtig, daß in Preußen der König des Staates erster Diener ist."
Die ersten Reisen des Kaisers. Kaiser Wilhelm ist vor allem bestrebt, die Leiden des Krieges von seinem Volke fernzuhalten. Um die Fürsten von seinen friedlichen Absichten persönlich zu überzeugen, hat er gleich nach seiner Thronbesteigung ihnen seinen Antrittsbesuch gemacht.
Zuerst fuhr er zur See nach St. Petersburg zum Kaiser von Ruß-laud. In Rußland bestand eine Partei, die Deutschland feindlich gesinnt war und durch ihre Zeitungen die Meinung verbreitete, der junge deutsche Kaiser wolle den Krieg mit Rußland. Der persönliche Besuch des Kaisers am russischen Hofe sollte dem russischen Volke zeigen, daß diese Zeitungsnachrichten Verleumdungen waren.
Dann begab er sich nach Stockholm zum Könige Oskar von Schweden. Dieser ist ein langjähriger Freund der Kaiserlichen Familie und hatte den Kaiser Friedrich noch zwei Tage vor seinem Tode in Potsdam besucht.
Von Stockholm fuhr der Kaiser nach Kopenhagen zum Könige von Dänemark. Wegen des Verlustes von Schleswig-Holstein waren die
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Extrahierte Personennamen: Wilhelms Wilhelms Wilhelm Friedrich Friedrich Wilhelm Friedrich Friedrich
Extrahierte Ortsnamen: Italien Gottes Petersburg Deutschland Stockholm Schweden Potsdam Stockholm Kopenhagen Schleswig-Holstein
120
Vi. Das Zeitalter Kaiser Wilhelms Ii.
Verkauf bindet sie an Nachbarfamilien, an Nachbargemeinden. Zu diesen müssen Wege gebaut werden. Da sie den verbundenen Gemeinden dienen, tragen diese die Kosten gemeinschaftlich. So verbinden sich verschiedene Gemeinden zu größern Gemeinschaften. Diese nennt man Bürgermeistereien oder Ämter. Nicht jede Bürgermeisterei kann ein Gericht, eine höhere Schule, ein Krankenhaus, eine Brücke aus eignen Kosten unterhalten; aber manche ihrer Bürger bedürfen dieser Einrichtungen. Daraus ergibt sich der Zusammenschluß mehrerer Bürgermeistereien zum Kreis. Kreise werden zu Regierungsbezirken, Regierungsbezirke zu Provinzen, Provinzen zum Staate zusammengeschlossen. So ist die Einteilung im Königreich Preußen; in andern Staaten sind die Benennungen anders, das Wesen ist das gleiche.
Die aussteigende Linie der Verwaltungsbehörden sind Gemeindevorsteher, Bürgermeister oder Amtmann, Landrat für den Kreis, Königliche Regierung für den Bezirk, Oberpräsident für die Provinz, Ministerium für die Gesamtheit der Provinzen, den Staat. Staatsoberhaupt ist der König.
Walter Tell fragt seinen Vater: Wer ist der König denn, den alle fürchten? Tell antwortet: Er ist der Eine, der sie schützt und nährt.
Keine Behörde kann ihre Verwaltung nach eignem Gutdünken führen. Sie ist, namentlich wenn es sich um Steuereinnahmen und Ausgaben handelt, an die Zustimmung einer Vertretung der Bürgerschaft gebunden; außerdem unterliegt die ganze Amtsführung der Aufsicht der vorgesetzten Behörde. Dem Gemeindevorsteher steht ein Gemeinderat, dem Bürgermeister oder Amtmann eine Bürgermeisterei- oder Amtsversammlung, dem Landrat ein Kreistag, der Königlichen Bezirksregierung ein Bezirksausschuß, dem Oberpräsidenten ein Provinziallandtag als beratende und beschließende Behörde zur Seite, das Ministerium ist au die Zustimmung des Abgeordnetenhauses und des Herrenhauses gebunden, des Königs Wille ist durch die von ihm beschworene Verfassung beschränkt. Da die genannten Körperschaften durch die Wahl der Bürger zustande kommen, gilt im ganzen Staate der Grundsatz der Selbstverwaltung.
Als Richtschnur für die Verwaltung einer Dorfgemeinde dient die Landgemeindeordnung, einer Stadtgemeinde die Städteordnung. Die jetzige Städteordnung stammt aus dem Jahre 1856; sie ist eine zeitgemäße Umgestaltung der Steinschen Städteordnung. (Seite 30 ff.)
Städte, die so viel Einwohner haben, wie die Durchschnittszahl eines Kreises beträgt, können aus dem Kreisverbande austreten und einen Stadtkreis bilden. Die Bürgermeister der Stadtkreise erhalten den Titel Oberbürgermeister und die Befugnisse eines Landrats.
Die Stadt Berlin bildet für sich einen Regierungsbezirk.
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3. Zustände der Gegenwart in Verwaltung u. Ordnung von Staat u. Gemeinde. 121
Der Umfang der Staatsverwaltung läßt sich erkennen aus der Benennung der neun Ministerien: 1. Ministerium des Innern, 2. Ministerium der Auswärtigen Angelegenheiten, 3. Kriegsministerivm, 4. Finanzministerium, 5. Ministerium für Landwirtschaft, Domänen und Forsten,
6. Ministerium der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten,
7. Justizministerium, 8. Ministerium für Handel und Gewerbe, 9. Ministerium der öffentlichen Arbeiten (wie Eisenbahn- und Bauwesen).
Der erste Beamte nach dem Minister ist der Unterstaatssekretär. Die Ministerien zerfallen in mehrere Abteilungen, deren Geschäfte ein Ministerialdirektor leitet. Manchmal bezeichnet schon der Name die Amtszweige, wie Ministerium der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten. Die Abteilung für Unterrichtsangelegenheiten zerfällt in drei Unterabteilungen: für Hochschulen, für Höhere Schulen, für Volksschulen.
Unabhängig von den Verwaltungsbehörden ist das Gerichtswesen. Die Gerichte zerfallen in Amtsgerichte, Landgerichte und Oberlandesgerichte. In einem Kreise sind ein oder mehrere Amtsgerichte, durchschnittlich kommt auf einen Regierungsbezirk ein Landgericht und auf eine Provinz ein Oberlandesgericht. Die Rheinprovinz hat wegen ihrer großen Einwohnerzahl zwei Oberlandesgerichte, eins in Cöln und eins in Düsseldorf. Höchstes Gericht ist das Reichsgericht in Leipzig.
Die Zugehörigkeit Preußens zu einem großem Staatsganzen, dem Deutschen Reiche, seine Rechte und Pflichten darin, ist in dem Abschnitt über die Reichsverfassung zum Ausdruck gekommen. (S. 98 f.)
Die Kosten der Gemeinde-, Staats- und Reichsverwaltung werden durch Steuern aufgebracht. Den Stadt- und Landgemeinden sind hauptsächlich die Grund-, Gebäude- und Gewerbesteuern, dem Staat die direkten Einkommensteuern, dem Reich die indirekten Steuern überwiesen. Manche Gemeinde erzielt Einnahmen ans Gas- oder Elektrizitätswerken, Wasserleitungen, Straßenbahnen; der Staat aus den eignen Bergwerken in Oberschlesien und im Saargebiet, aus Domänen und Forsten, aus dem Eisenbahnbetrieb, das Reich aus der Post- und Telegraphenverwaltung, der Eisenbahnverwaltung in Elsaß-Lothringen. Den Rest decken die Matrikulorbeiträge der Einzelstaaten.
Werden größere Anlagen ausgeführt, die aus den Steuern eines Jahres nicht gedeckt werden können, z. B. Bau eines Krankenhauses, einer Eisenbahn, eines Kanals, so wird eine Anleihe gemacht, die nach Ablauf eines großem Zeitraums durch erhöhte Zinszahlung zurückgezahlt wird. Solche Anleihen werden in der Reget nur gestattet, wenn es sich um Anlagen handelt, die auch der Nachwelt zugute kommen. Gemeinden, Staat und Reich können Anleihen machen; gleichzeitig muß aber festgesetzt werden, auf wieviel Jahre sich die Zurückzahlung erstreckt.
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5. Die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Gegenwart. 125
der Welt; heute sind die Bankverbindungen mit Berlin ebenso vorteilhaft wie die mit London. Das englische Volk wird ausgereizt durch die Zeitungen; aber es sehlt auch nicht an Stimmen, die zur Besonnenheit mahnen. Die verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen unserm Kaiser und dem Könige von England, die gegenseitigen Besuche deutscher Bürgermeister und deutscher Geistlichen in London und umgekehrt, vor allem aber die strenge Rechtschaffenheit der deutschen Staatsleitung werden, so hoffen wir, uns vor kriegerischen Verwicklungen bewahren.
Bezüglich der kleinern Staaten ist zu erwähnen, daß die Personalunion zwischen Norwegen und Schweden seit 1905 durch Beschluß des norwegischen Storthing (Abgeordnetenhaus) aufgelöst ist. Die Norweger wählten einen dänischen Prinzen zum König, der den Namen Haakon Vii. annahm.
Auch die Personalunion zwischen Holland und Luxemburg ist seit dem Regierungsantritt der jetzigen Königin Wilhelmina von Holland (1890) aufgelöst, da in Luxemburg weibliche Thronfolge nicht zulässig ist. Das Großherzogtum Luxemburg ging über an Herzog Adolf von Nassau, der 1866 sein Herzogtum an Preußen verlor. Er war der nächste männliche Anverwandte der jetzigen Königin von Holland.
5. Die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse und das Geistesleben der Gegenwart.
Die Worte, die der Kaiser bei seinem Regierungsantritt an das Volk und dessen Vertreter gerichtet hat, hat er in vollem Umfange wahr gemacht. Den Frieden mit dem Auslande hat er aufrecht gehalten, aber eingedenk der bewährten Worte altrömischer Staatsweisheit:. „Wenn du Frieden haben willst, sei bereit zum Kriege" — arbeitet er unausgesetzt an der Vervollkommnung des Heerwesens und der Flotte. Die Friedensstärke des Heeres beträgt */2 Million, die Kriegsstärke 5 Million Truppen, die Bemannung der Kriegsflotte 45000 Mann. (Fig. 30 u. 31.) Nur einmal war er gezwungen, zum Schwerte zu greifen und zu kriegerischen Zwecken von der Flotte Gebrauch zu machen, als die fremdenfeindliche Partei der Boxer in China im Sommer 1900 einen Aufstand gegen die Fremden erregte. (Vgl. S. 123.)
Den Handel hat er gefördert durch den Abschluß von Handelsverträgen mit andern Staaten und die Einrichtung von Dampferverbindungen nach außereuropäischen Ländern, besonders nach Ostasien, das für den Absatz unsrer Erzeugnisse eine steigende Bedeutung erlangt hat. Unsre Handelsflotte steht an zweiter Stelle, doch ist die englische noch dreimal stärker, die 47 Prozent, beinahe die Hälfte der Welthandelsflotte, ausmacht; an dritter Stelle stehen die Vereinigten Staaten. Die Vervollkommnung des Schiffbaues ist in den Fig. 27—31 dargestellt. In Afrika sind seine Bevollmächtigten bewaffnet gegen den Sklavenhandel
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